Es sieht so aus, dass die friedlichen, aber spektakulären Aktionen der letzten Wochen einiges in Bewegung gesetzt hätten - wie auch die umstrittene Auszeichnung Kiels mit dem Nachhaltigkeitspreis. Die Diskussion um A21 und Südspange, die manche vielleicht gerne nach Baubeginn verschoben hätten, ist im vollen Gange. Eine kommentierte Übersicht der Pressemitteilungen von Ratsparteien und Verbänden sowie weitere Statements.
Kreis-SPD: Auf zu neuen Ufern?
Am schrillsten war wohl die Reaktion von Mitgliedern der Ostufer-SPD, die bei der Gelegenheit gleich den eigenen Genoss*innen inklusive des OB einen mitgaben. Dies wurde bereits hier thematisiert. Von manchen so interpretiert, dass die straßenbau-freundliche Fraktion ihre Felle wegschwimmen sieht und in Panik geraten ist. Eine andere Interpretation wäre allerdings, dass die dortigen Genoss*innen durchaus realistisch sind und genau wissen, dass der Ostring 2 niemals gebaut wird. Die Diskussion aber als Vehikel nutzen, mehr Druck für eine Entlastung des jetzigen Ostrings im Sinne einer Verkehrswende zu machen. Was durchaus sehr legitim wäre.
Wenn man den Artikel und das Foto auf der Seite des SPD-MdL Heinemann richtig interpretiert, waren die SPD-Ratsleute vom Ostufer anscheinend nicht involviert (und auch nicht geladen?).
Wohl auch um intern die Wogen zu glätten, gab die Kreis-SPD zusammen mit dem MdB Matthias Stein eine Pressemitteilung in versönlichem Tonfall heraus - auch in Richtung Südspangen-Gegner*innen. Zum ersten Mal wurde auch öffentlich bestätigt, dass die DEGES doch weitere Varianten - auch ohne Südspange - in einer neuen Machbarkeitsstudie prüfen werde. Zudem wurde das Dogma alter SPD-Beschlüsse fallengelassen, die seit mindestens 2004 "Pro Südspange" und "Pro Ostring 2" waren. Zitat: "Wenn es eine Lösung gibt, die ohne Südspange auf bestehender Trasse funktioniert, werden wir uns dem nicht verschließen. " Das ist schon einmal ein guter Anfang. Und dass die PM bei Matthias Stein mit "Besonnenheit statt Beton" überschrieben ist, hat durchaus eine interessante Vieldeutigkeit.
Vollständige Pressemitteilungen: SPD Kiel / Matthias Stein
SSW: U-Turn fürs Klima.

Die große Überraschung bei den Kieler Rats-Parteien ist allerdings der SSW. Hatte man sich noch 2017 klar für neue Straßen ausgesprochen, so definiert der SSW jetzt die Prioritäten neu. Dazu der SSW-Ratsherr Marcel Schmidt: "Wenn wir unseren eigenen Masterplan ernstnehmen, wie es die heraufziehende Klima-Krise gebietet, müssen wir unsere Mittel und Ressourcen auf die Stadtbahn konzentrieren und hier entschlossen – und zwar wesentlich entschlossener als bisher – vorangehen. Dazu kommt, dass die Südspange ohne einen Ostring II wenig Sinn ergibt. Ob ein Ostring II jemals gebaut wird, ist jedoch alles andere als sicher. Wir halten es für töricht, mit dieser unsicheren Variable eine Rechnung anzustellen, die dazu noch dem grundsätzlich eingeschlagenen Pfad einer entschlossenen Umsetzung der Stadtbahn zuwiderläuft. "
Der Betreiber von bielenbergkoppel.de erhielt schon einen ironischen Kommentar, Herr Schmidt müsse diese Seite gut gelesen haben. Denn das ist in der Tat zu knapp 100% die Argumentationslinie, die hier seit 2017 vetreten wird. Ein echter Hoffnungsschimmer, wenn sich Politiker*innen lernfähig zeigen.
CDU: Widersprüchliches und Textgenerator
Nur sehr vereinzelt hört man bisher Stimmen auch aus der CDU, die die vollständige Bewahrung des Grüngürtels als oberste Priorität sehen. Die Mitteilung der CDU-Fraktion ist da auch keine Ausnahme. Etwas erstaunlich ist, dass richtigerweise festgestellt wird, dass es keine schnellen Lösungen gebe. Um aber im nächsten Atemzug die Südspange (wohl frühestens 2032) und Ostring 2 (nie!) als Vorzugslösung zu präsentieren. Weil die Verkehrswende in die Zukuft ziele und heute keine Entlastung für jetzigen Ostring bringe.
Und das wäre ja "nicht kontra Natur, sondern pro Mensch!". Liest sich so, als liefe der Textgenerator der CDU noch auf Windows 95. Weshalb aktuellere Phrasen-Upgrades nicht installiert werden können ...
Hopfen und Malz sind verloren: FDP
Parkplätze, neue Straßen (auch Ostring 2!) und motorisierter Individualverkehr als unverrückbare Dogmen. Alte Rezepte remixt mit modernem Populismus. Warum sich SPD und Grüne in Kiel so einen Klotz ans Bein gebunden haben, versteht kein Mensch.
OB Kämpfer: Nur die halbe Einsicht bei der Südspange
„Die Südspange wäre unter dem Aspekt des Verkehrs am besten - ökologisch am schlechtesten.“ wird OB-Kämpfer in der taz vor dem Hintergrund des Nachhaltigkeitspreises zitiert.
Dass sie im Sinne des Verkehrs (ÖPNV, Rad, Fuß, Auto) gutachterlich auch kaum mehr als Murks ist, erwähnt Kämpfer leider nicht.
Variantenprüfung 2016 / ÖPNV-Grundlagenstudie 2019
Die Grünen: Geld für die Stadtbahn
Keine aktuelle Pressemitteilung. Aber in Bezug auf den taz-Bericht schrieb die Fraktionsvorsitzende Jessica Kordouni über ihren privaten Account auf Facebook, dass die Grünen-Position leider unter den Tisch gefallen sei:
"Würde die Südspange gebaut verpassen wir die Chance das Geld von vornherein in eine Anbindung mit alternativen Verkehrsmitteln zu stecken. Zum Beispiel in die Anbindung des Kieler Südens mit der Stadtbahn. Da wäre das Geld deutlich zukunftssicherer investiert. Die Verkehrspolitik des Bundes ist eine Katastrophe. In Hessen will man eine Verkehrstrasse sogar durch ein Trinkwasserschutzgebiet schlagen. Die Anbiederung an den MIV und die Logistik auf der Straße muss endlich ein Ende haben." - Amen!
Die Linke: Neue Straßen "anachronistische Realistätsverweigerung"
Die Linke knöpft sich die Ostufer-SPD vor und nutzte die Pressemitteilung, um auf die Fahrradexkursion zur Bielenbergkoppel am vergangenen Wochenende hinzuweisen. War eine nette & informative "Linke Runde", die unter Beachtung von Hygieneregeln knapp größer war als die SPD-Ostuferrunde. Inklusive dem klimapolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, MdB Lorenz-Gösta-Beutin.
NABU: "SPD Ostufer hat Anschluss an moderne Gesellschaft verpasst"
Der Kieler NABU mahnt eine moderne Verkehrspolitik an, verweist auf den beschlossenen Masterplan Mobilität positioniert sich eindeutig zum innerparteilichen Streit in der SPD.
BUND: Schnelle Entlastung statt Straßenvisionen in 20-25 Jahren
Auch die Kieler Kreisgruppe BUND verweist auf den Masterplan Mobilität und fordert schnelle Umsetzung von Maßnahmen für die Reduktion des Autoverkehrs wie Schnellbuslinien, aber auch Umschichtung von Geldern aus dem Etat des Bundesverkehrsministeriums, um auch "große Sprünge" bei der Verkerhswende finanzieren zu können.
Weitere Berichte ohne Paywall
- Neues Deutschland, 13.8.20 - Image-Label oder Etikettenschwindel? Nachhaltigkeitspreis geht an die Städte Kiel, Buxtehude und Eltville am Rhein" ,
- taz, 22.8.20 - Große Pläne für die Zukunft
- KielerLeben, 19.8.20 - Warum Kiel den nachhaltigkeitspreis nicht verdient (Interview TKKG)
- Feinfrisch.net, 13.8.20 - Fotoserie zur Baumbesetzung
- Pressemitteilung der TKKG zur B404-Blockade, 16.8.20