Ich werbe dafür, dass Kiel eine Stadtbahn bekommt - unter anderem in sozialen Netzwerken wie Facebook. Es gibt eine erdrückende Menge an guten Argumenten, warum Kiel einen Systemwechsel weg von überlasteten Buslinien hin zu einem Schienensystem angehen sollte. Mit Zahlen und positiven Wirtschaftlichkeitsberechnungen könnte man da förmlich um sich werfen. Doch das "Argument", das mir regelmäßig die meisten "Likes" bringt, ist:
"Bald ist Kiel die letzte Landeshauptstadt in Deutschland, die weder Tram, Stadtbahn oder U-Bahn hat. Wiesbaden plant nämlich auch ganz konkret eine Stadtbahn."
Wer sich bei Holstein Kiel in den vergangenen Jahren dafür stark gemacht hat, dass für die Erfüllung von Lizenzauflagen Steuermittel in das stadteigene Stadion investiert werden müssen, hat auch gerne damit argumentiert, dass Schleswig-Holstein einen Zweitligisten brauche. Und wenn ich ganz persönlich alleine darüber zu entscheiden hätte, ob sich die Stadt Kiel über 100 Generationen verschulden sollte, weil Holstein für die Champions League ein neues Stadion bräuchte: Natürlich würde ich als Holstein-Fan Ja sagen. Warum sollte sich Kiel nicht mit Madrid, London oder Rom messen, wenn wir schon San Francisco als Partnerstadt haben?
Vermutlich ist es eine gute Sache, dass ich das nicht alleine zu entscheiden hätte.
Das wirklich am häufigsten gehörte oder gelesene "Argument" für den Erhalt des Verkehrslandeplatzes Holtenau ist, dass zu einer Landeshauptstadt ein Flughafen gehöre. Die Kampagne der Befürworter*innen heißt auch entsprechend "Wir bleiben Stadt". So nach dem Motto: Ohne Landebahn ist Kiel keine richtige Stadt mehr, geschweige denn vollwertige Landeshauptstadt.
Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich ist es völlig legitim, wenn Menschen, denen eine Sache am Herzen liegt, auch mit Emotionen argumentieren. Und sei es für einen Flugplatz, zu dem ich persönlich eben kaum einen Bezug habe. Andere Menschen haben diesen Bezug. Ein Flugplatz an sich ist erst einmal nichts schlechtes. Im Gegenteil.
Die Frage ist aber: Wiegen die sachlichen Argumente für den Flugplatz die derjenigen auf, die dort Wohnungen bauen und viel Platz für Gewerbe schaffen wollen? Und da bin ich skeptisch.
Denn was den Wohnungsbau angeht, so kommentierte ich bereits vor Monaten an anderer Stelle, dass es da bereits 5 nach 12 in Kiel ist. Und auch die Beobachtung des Kommunalwahlkampfes bestätigt mich, was passiert, wenn wir diese Chance nicht nutzen, hier einen komplett neuen Stadtteil entwickeln zu können.
Die Kieler Kreisgruppe des BUND hat an die Parteien sogenannte Wahlprüfsteine mit Fragen verschickt. Einige Antworten der Kieler SPD lassen dabei tief blicken (.pdf). Auf die Frage, wie die SPD für den Fall abnehmender Kleingartennutzung zu einer Umwidmung betroffener Flächen zu allgemein zugänglichen Grünflächen oder auch Ausgleichsflächen stehe, heißt es: "Gut erschlossene Randbereiche werden vom Kreisverband der Kleingärtner selbst für die Umwandlung in Wohnbauflächen ins Gespräch gebracht. Bei der aktuellen Wohnungsnachfrage ist auch dies für uns vorstellbar."
Wenn wir das auf die aktuelle Frage nach der Schließung des Flugplatzes beziehen, heißt das: Der Druck auf den historischen Kieler Grüngürtel, hier neue Wohngebiete auszuweisen, steigt. Nämlich genau dann, wenn nicht genügend andere Flächen zur Verfügung stehen. Keine guten Aussichten für Kieler Kleingärtner*innen, wenn man auch andere Passagen der SPD-Antwort mit recht negativem Unterton heranzieht.
Was aber den bisherigen Verlauf der Pro und Contra-Diskussion angeht, so wundere ich mich, welch eine Wertigkeit manch einem eher speziellen und lösbaren Problem zugesprochen wird. Natürlich wird es eine Umstellung sein, wenn lebenswichtige Organe für die Spitzenmedizin des UKSH auf anderen Wegen als über Holtenau die Empfänger erreichen.
Die viel wichtigere - und klassisch sozialdemokratische - Frage ist doch aber: Was ist diese Spitzenmedizin wert, wenn das Fußvolk, das den größten Teil der täglichen Arbeit macht, sich keine Wohnung in Kiel leisten kann? Ich meine hier das Pflegepersonal für die ganz normale medizinische Grundversorgung. Wie viele Patienten haben darunter zu leiden, wenn chronisch unterbesetzte, überlastete und zu schlecht bezahlte Krankenschwestern und Pfleger zusätzlich noch lange Strecken pendeln müssen, weil bezahlbare Wohnungen in Kiel Mangelware sind?
Natürlich würde es seine Zeit brauchen, das Gelände zu entwickeln. Aber auch andere, schlechtere Alternativen wie die weitere Versiegelung des Grüngürtels (s.o.) würden nicht von heute auf morgen geschehen. Es böte sich aber mit einem komplett neuen, mit dem MFG5-Gelände zusammenhängenden Stadtteil die Chance, hier einmal von Grund auf "gut" zu planen und nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Ich bin normalerweise kein Fan der Grünen, aber der kürzlich in der Ratsversammlung gestellte Antrag, bei den Planungen zu einer neuen Stadtbahn auch eine Nord-Süd-Strecke von Schilksee über den Kanal Richtung Süden zu prüfen, ist absolut folgerichtig. Planen wir gleich mit dem neuen Stadtteil auch eine nachhaltige Mobilität, die sich nicht nur um Autos und Parkplätze dreht.
Natürlich gibt es noch andere Argumente, die entweder Pro oder Contra hervorgebracht werden, wobei vermutlich das "Umwelt"-Argument der Flugplatz-Befürworter schon mit einem Augenzwinkern gesehen werden muss (bezeichnender Weise illustriert mit einem Flugplatz mit Graslandebahn, der wirklich rein garnichts mit Holtenau zu tun hat). Die einzigen "Tierarten", die eine Landebahn wirklich aufwerten würden, wären Kraniche, Condore oder gar Kängurus. So etwas kann Kiel aber nicht ansatzweise und schon seit vielen, vielen Jahrzehnten nicht vorweisen.
Aber für viele Kieler*innen mögen Sachargumente nur untergeordnet sein, wenn es doch darum geht, irgendwie Spitze und eine wichtige Stadt zu sein. Ob mit einer Stadtbahn, mit Holstein Kiel, dem THW oder einem Flughafen. Und diesen Menschen möchte ich nun zum Schluss das ultimative Statement zukommen lassen, warum man beim Bürgerentscheid unbesorgt mit "Ja" für die Schließung stimmen kann:
Ein Flugplatz ist kein Kriterium dafür, eine bedeutende Stadt zu sein.
Selbst Lübeck und Flensburg haben einen.