Kiel, den 23.1.19 [vorab per Mail. Zur Berichterstatung der KN vom 11. Februar siehe Anmerkung am Ende]

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Zusendung ihrer Umfrage zu den geplanten Maßnahmen zur Reduzierung der Stickoxidbelastung am Theodor-Heuss-Ring in Kiel. Gleichzeitig beziehe ich mich in diesem Schreiben auf Ihre Pressemitteilung vom 18.12.2018 zum Luftreinhalteplan.

Anschreiben und Umfrage der IHK Kiel

Leider ist Ihnen in der Umfrage bei der Formulierung der Fragestellung und Auswahl möglicher alternativer Maßnahmen zur Reduktion ein schwerer sachlicher Fehler unterlaufen.

Als mögliche Maßnahme zur Reduktion der NOx-Werte nennen Sie den Bau der Südspange.

Diese hätte aber auf den Theodor-Heuss-Ring westlich des Barkauer Kreuzes, wo heute die NOx-Grenzwert-Überschreitungen gemessen werden und gerichtliche Fahrverbote im Raum stehen, keinerlei entlastenden Einfluss.

Bei der Verkehrszählung 2013 wurde dort eine tägliche Belastung von 106.000 KFZ/Tag festgestellt. Das Tiefbauamt Kiel beziffert aktuell die Belastung mit 110.000 Fahrzeugen.

Im Zuge der Variantenprüfung zur Anbindung der A21 an die Stadt Kiel wurde für den "Planfall 1" eine Verkehrsprognose für 2025 erstellt. Dieser Planfall entspricht der im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans (BVWP 2030) enthaltenen Südspange weitgehend. In dieser Prognose wird gegenüber 2013 eine Steigerung auf 133.000 KFZ/Tag für den hier relevanten Teil des Theodor-Heuss-Rings prognostiziert. Das entspricht einer Steigerung um 25% - also keine Entlastung. Ein Vergleich mit dem "Nullfall 2025" ohne Baumaßnahme zeigt entsprechend keinerlei relevante Wirkung der Südspange.

Vgl:
https://www.kiel.de/de/umwelt_verkehr/verkehrswege/projekte/_dokumente_fuehrung_a21/a21_kiel_verkehrsuntersuchung.pdf

Darüber hinaus wird im "Planfall 1" für die Alte Lübecker Chaussee eine Steigerung gegenüber 2013 um 40% auf 30.400 KFZ/Tag prognostiziert. Im Gegensatz zu o.g. Prognosen legen die Zahlen hier nahe, dass mit der Südspange im Vergleich zum "Nullfall" sogar zusätzlicher Verkehr induziert würde. Die Alte Lübecker Chaussee hat bereits heute NOx-Werte knapp unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte, wie Messungen mit Passivsammlern durch das Land Schleswig-Holstein und zuletzt auch eine Messung im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe im Februar 2018 zeigten.

Würde die Südspange jetzt schon gebaut sein, so würden wir heute mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Alten Lübecker Chaussee über ein mögliches Fahrverbotsszenario sprechen.

In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die Südspange in den vordringlichen Bedarf des BVWP aufgrund eines (behaupteten) günstigen Nutzen-Kosten-Faktors aufgenommen wurde - nicht wegen angeblicher Entlastungswirkungen in Bezug auf die NOx-Problematik.

Die Antwortmöglichkeit "Bau der Südspange zur Entlastung des Theodor-Heuss-Rings" ist also, vorsichtig ausgedrückt, irreführend. Genau so könnte, salopp formuliert, auch "Umfallen eines Sackes Reis in China zur Entlastung des Theodor-Heuss-Rings" zur Auswahl stehen. Und wer wollte das dann nicht ankreuzen, zumal diese Maßnahme deutlich kostengünstiger zu haben wäre und zudem ohne weitere Zerschneidung des Kieler Grüngürtels auskäme?

Leider ergibt sich hier der Verdacht, dass es sich hier um eine absichtlich irreführende, manipulative Umfrage handelt, die ein verbandspolitisch gewünschtes Ergebnis erzielen soll.

Ich zitiere die o.g. Pressemitteilung zum Luftreinhalteplan vom 18.12.2018:

"Für die langfristige Lösung des Problems sei es dagegen unumgänglich, dass die Landeshauptstadt endlich die Realisierung der Südspange Gaarden mit Anbindung an die Autobahn 21 vorantreibe. "Dazu muss ein verlässlicher Beschluss her, der endlich die Voraussetzung für Planungen ermöglicht", fordert [IHK-Hauptgeschäftsführer] Orlemann."

Eine Maßnahme, die mit Sicherheit langfristig eine Entlastungswirkung hätte, wäre ein zügiger Bau der mit großer Mehrheit der Kieler Ratsversammlung auf den Weg gebrachten Stadtbahn. Insbesondere, wenn ein Linienzweig auf vorhandener Trasse des Industriegleises ins Gewerbegebiet Wellsee und darüber hinaus in den am stärksten wachsenden Stadtteil (Neu-)Meimersdorf geführt würde. Eine (erste) Stadtbahn(-linie) könnte - so auch jüngst der Kieler OB Kämpfer - möglicherweise in 7 Jahren (2026) realisiert sein.

Die Planungen zur Südspange sollen erst ab 2021 von der neuen Infrastrukturgesellschaft des Bundes (IGA) wieder aufgenommen werden. Vorher wird lt. Aussagen seitens Stadt, Land und Bund, die im Oktober 2018 in der Presse getätigt wurden, keine weitere Vorplanung mehr angestoßen. Lt. Projektdossier des BVWP beträgt die "Dauer der noch ausstehenden Planungen" 138 Monate, die Bauphase 48 Monate. Ausgehend von einem Planungsbeginn 2021 wäre eine Fertigstellung der Südspange im Jahr 2036 realistisch.

Vgl.:
http://www.bvwp-projekte.de/strasse/B202-G20-SH/B202-G20-SH.html

Leider ist die Stadtbahn weder in ihrer Umfrage, noch auf ihrer Homepage präsent. Im Gegenteil hatte sich aber die IHK Kiel in der Vergangenheit lautstark gegen die politisch gescheiterte Stadtregionalbahn positioniert. Ich zitiere aus den Kieler Nachrichten vom 12.6.2012:

"Aus Sicht des IHK-Präsidenten Klaus-Hinrich Vater wird für die SRB „aus verkehrsideologischen Gründen Geld zum Fenster hinausgeworfen, das an anderer Stelle fehlt“. Denn eine Verkehrswirkung beschränke sich nur auf den Großraum Kiel."

Man muss hier leider feststellen, dass die IHK Kiel bei der Diskussion um mögliche Fahrverbote eine Situation beklagt, die sie mit destruktiver Lobbyarbeit selbst mitverschuldet hat.

Kiel hat im Vergleich zu anderen Städten dieser Größenordnung einen leistungsschwachen ÖPNV, was sich auch in dem geringen Anteil von 10% am "Modal Split" der Verkehrsarten ablesen lässt. Wir würden heute vermutlich nicht über mögliche Fahrverbote reden, wenn die SRB zügig gegen den Widerstand der IHK umgesetzt worden wäre.

Die IHK zu Kiel sollte das Gesamtinteresse der Wirtschaft vertreten, so wie sie es auch in dem Anschreiben zur Umfrage ausführen. Als IHK-Mitglied bitte ich Sie, genau dies zu tun und nicht nur Partikularinteressen autoaffiner Gewerbe zu vertreten. Und schon gar nicht mit zweifelhaften Umfragen, die unfreiwillig auch durch meinen IHK-Beitrag finanziert werden.

Ich bitte sie deshalb darum, mit den maßgeblichen Akteuren der Landeshauptstadt Kiel und Zivilgesellschaft konstruktiv ins Gespräch zu treten, um eine zeitnahe Realisierung der Stadtbahn mit anzuschieben, statt Scheinlösungen für das Jahr 2036 zu propagieren. Der Verein "Tram für Kiel e.V." wäre dabei aus meiner Sicht eine gute Anlaufstelle.

Ich werde dieses Schreiben als offenen Brief auf meinen Blog "Bielenbergkoppel.de" veröffentlichen. Eine mögliche Antwort würde ich, sofern Sie das Einverständnis dafür geben, ebenso im Wortlaut veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen
Niklas Hielscher

Thematisch passend:

25.1.19, P.S.:

Ich bin heute von einem Mitarbeiter der IHK telefonisch kontaktiert worden. Seitens der IHK fühlt man sich missverstanden, was die Intention der Umfrage angeht. Dass die Umfrage in Bezug auf die Südspange undifferenziert sein könnte, wird eingeräumt und geprüft. Entsprechend bemüht man sich, hier auch differenzierte Aussagen zum Ausgang der Umfrage zu treffen, wenn die Ergebnisse vorliegen. Der Meinungsaustausch war durchaus offen und konstruktiv - auch in Bezug auf die aktuellen Stadtbahnplanungen. Es wurde das Angebot gemacht, weiter im Gespräch zu bleiben.

N.H.

31.1.19, P.P.S.:

Zum 29.1. wurde ich von dem für die Umfrage Verantwortlichen aus dem Bereich Standortpolitik zu einem Gespräch bei der IHK eingeladen. Der IHK-Seite war es dabei offensichtlich das Hauptanliegen, dem Eindruck entgegen zu treten, Lobbyismus vorwiegend für den "autoaffinen" Bereich der Wirtschaft zu betreiben.

In Bezug auf die im offenen Brief geschilderte Wirkungslosigkeit der Südspange für den westlichen TH-Ring blieb man unterschiedlicher Position. Die IHK sieht (sofern ich das hier korrekt wiedergebe) durch geplante Sperrungen im Bereich Tonberg eine Rückstaugefahr, die sich auf den westlichen Teil des TH-Rings auswirken würde. Und eine entlastende Wirkung auf den östlichen Teil (durch eine Südspange) würde sich demnach auch auf den westlichen Teil positiv auswirken. Aus meiner Sicht eine sehr weit hergeholte Interpretation, die auch durch keinerlei Gutachten bzw. Verkehrsprognose belegt ist. Ich halte die Umfrage nach wie vor für irreführend.

In Bezug auf die (verworfene) Stadtregionalbahn wurde bestätigt, dass hier die IHK aus Kostengründen eine ablehnende Haltung eingenommen hatte. Bei der Stadtbahn habe man allerdings noch keine abschließende Einschätzung. Meine Anregung, auch die Expertise von "Tram für Kiel e.V." im Zuge der Meinungsbildung zu konsultieren, wurde notiert.

Insgesamt ein wirklich spannender Termin, bei dem auch ein wenig über "Gott und die Welt" gesprochen wurde. Und zumindest dabei gab es auch manch überraschende Übereinstimmung.

N.H.

11.2.19, P.P.P.S: Zur heutigen Berichterstattung in den Kieler Nachrichten

Screenshot KN, 11.2.19

In den heutigen Kieler Nachrichten fordert nun die IHK - wie erwartet - als Ergebnis der irreführenden Umfrage die Südspange zur "Entlastung" des Theodor-Heuss-Rings. Erstaunlich ist dabei, dass immerhin knapp ein Drittel der befragten Unternehmen nicht auf die Fragestellung hereingefallen sind und die Südspange NICHT als Alternative sehen. Ein überzeugendes Votum der Unternehmen aus dem Kieler Süden sieht anders aus. Vermutlich hätte eine schnelle Realisierung der Stadtbahn als langfristige Alternative bessere Werte gebracht.

Aber danach hatte die IHK ja nicht gefragt.