"... gemeinsam Verantwortung für Kiel übernehmen und Politik machen sozial, nachhaltig innovativ und weltoffen": Knapp zwei Monate nach der Kommunalwahl haben SPD, Grüne und FDP in Kiel einen 35-seitigen Entwurf für einen Kooperationsvertrag für die nächsten 5 Jahre fertig, über den am kommenden Wochenende die jeweiligen Parteigremien entscheiden sollen. Was sind die Ergebnisse hinsichtlich Südspange, Mobilität allgemein und Kieler Stadtgrün? Zusammengefasst findet man wenig Überraschendes, Probleme mit der deutschen Grammatik und möglicherweise einen Hauch von Perestroika.

Ein paar Worte zur Ausgangslage:

...und ein Bild zur Ausgangslage: Alte Lübecker Chaussee, 4. Juni '18

Die Südspange war im Kommunalwahlkampf praktisch nicht thematisiert worden, von Spiegelstrichen in Wahlprogrammen abgesehen. Selbst die Linkspartei sah offensichtlich das Verbot von Wildtieren in Zirkussen als wichtigeres kommunales Thema an als den Verlust hunderter Kleingärten durch fragwürdige Verkehrsplanungen.

Die SPD setzte zum Schluss voll auf die Popularität des Bürgermeisters und ist prozentual trotz Verlusten stärkste Kraft in Kiel geblieben. Die Grünen, die sich den Bürgerentscheid um den Flugplatz Holtenau ans Bein gebunden hatten, haben trotz Gewinnen die historische Chance verpasst, in Kiel wie in anderen Universitätsstädten stärkste Partei zu werden. Aber auch in Anbetracht von einigen bemerkenswerten Direktmandaten mit 20% ein ordentliches Ergebnis eingefahren.

Die CDU ist in Kiel noch stärker als im Landestrend abgestürzt. Das Festhalten an der Anti-Stadtbahn-Haltung dürfte sich endgültig als Rohrkrepierer erwiesen haben. Die Linke ist mit 7% klar unter ihren Möglichkeiten geblieben (s.o.). Dass bei 45% Wahlbeteiligung nicht einmal 3% der wahlberechtigten Kieler*innen die selbsternannten Volksversteher wählten, könnte man fast schon als "weichen Standortfaktor" in Werbeprospekte für die Landeshauptstadt aufnehmen - doch das soll hier kein Thema sein.

Den noch nicht endgültig beschlossenen Kooperationvertrag der Kieler Ampel findet man derzeit auf der Website des grünen Ratsherrn Sven Krumbeck.

Was steht also drin zur Südspange?

Das wichtigste unter "Ausbau der A21" vorweg im Vollzitat:

"Der Ausbau der B 404 zur A 21 sowie der vierspurige Neubau der B 202 sollen in den vordringlichen Bedarf im Bundesverkehrswegeplan 2030 sowie in den daraus hervorgegangenen aktuellen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen aufgenommen worden." [Hervorhebungen bielenbergkoppel.de]

Das muss man eventuell zwei Mal lesen um festzustellen, dass der Satz in dieser Form komplett sinnlos ist - auch grammatikalisch. Denn der vierspurige Ausbau ist bereits im vordringlichen Bedarf. Ganz ausschließen kann man natürlich nicht, dass es Ratsleute gibt, die nicht ganz up-to-date sind und etwas bereits Beschlossenes fordern möchten. Aber vermutlich handelt es sich um einen Schreibfehler. Der Satz ist einfach eine verunglückte Ist-Beschreibung.

"Die weitere Planung und Umsetzung des Vorhabens obliegt dem Bund. Wir werden das weitere Verfahren konstruktiv unterstützen und insbesondere sicherstellen, dass die betroffenen öffentlichen und privaten Belange umfassend in den Planungs- und Abwägungsprozess einfließen und eine frühzeitige und breite Öffentlichkeitsbeteiligung stattfindet."

Wenig überraschend zunächst, dass auch bei der jetzigen Zusammensetzung der Ratskooperation auf den Bund verwiesen wird, um etwaige Konflikte - wie in der Vergangenheit - auszulagern und auszusitzen. Interessant aber, dass die weiteren Formulierungen Raum für Interpretationen lassen. Ein Hauch von Perestroika? Denn bielenbergkoppel.de hat - unabhängig voneinander - von Südspangen-kritischen Insidern unterschiedlicher Parteien die Bewertung gehört, dass es schon ein gewisser Teilerfolg sei, dass die Südspange explizit garnicht erwähnt ist. Also keine Festlegung auf eine bestimmte Variante der Anbindung der A21. 

"Konstruktiv unterstützen" könnte theoretisch also auch heißen: Wir legen die Fakten auf den Tisch, dass die veraltete Bundesplanung Murks ist und die Stadt Kiel bessere Alternativen für weniger Autoverkehr anstrebt. Sollte also die jetzige Ratskooperation im Jahr 2021 doch im Sinne des Masterplan Mobilität ein nachhaltiges Verkehrswende-Konzept unter Einschluss von Stadtbahn, Radverkehr, kombiniertem Verkehr und digitaler Mobilität alternativ zur Ausweitung des Individualverkehrs mit der Südspange auf den Tisch legen: Würde der Bund dann seine obsolete Planung gegen Kieler Interessen durchsetzen wollen?

Stadtbahn und ... !

Beim Thema Mobilität wird  die Stadtbahn als erster Punkt genannt, für die "möglichst zeitnah" ein Konzept erstellt werden soll und bereits 2018 "angeschoben" werden soll. Man kann hier ganz klar sagen: Das sieht wirklich gut aus. Und mit großer Sicherheit wird sich das auch als "förderfähig" erweisen, da Kiel alleine so eine Investition natürlich nicht wuppen kann. Immerhin hat sich die FDP an diesem Punkt bewegt, wenngleich sie mit ihren 4 Mandaten eher nur Stützrad eines rot-grünen Citybikes ist, das rechnerisch auch ohne Liberale fahren könnte. Spannend wird hier in den kommenden Jahren hinsichtlich der Planungen im Kieler Süden sein, ob wachsende Gewerbe- und Wohngebiete (Wellsee / Neumeimersdorf!) gleich mit eingeplant werden. Oder ob sie auch in Zukunft mit Autos vollgestellt sein sollen wie heute und auch die Probleme wie heute mitverursachen (s. Bild oben).

Bei den anderen Punkten wie "massiver" Ausbau des Radverkehrs, günstige ÖPNV-Tarife oder gar eine Teststrecke für einen autonomen NAF-Bus stimmt immerhin die Richtung. Im Gegensatz zu der Bundesplanung bei der A21, die konzeptionell ein Kind der frühen 90er Jahre nach der Grenzöffnung ist, sind die meisten Absichtserklärungen der Ratsmehrheit zeitgemäß und stehen nicht im Gegensatz zum Pariser Klimaschutzabkommen vom Dezember 2015. Lediglich unterm Stichwort "Verkehrslenkung und -führung" scheinen (ältere?) Sozialdemokraten noch ein bisschen "Entlastungsfolklore" reingemogelt zu haben: Dass "regionaler Pendeldurchgangsverkehr" und LKW per "Verkehrsführung" aus Innenstadt und Wohngebieten "herausgehalten" werden sollen, riecht verdächtig nach "Ostuferentlastungsstraße" (Ostring II) , aber nicht nach Verkehrsvermeidung.

"Kieler Kleingärten übernehmen neben ihrer ökologischen und klimaschützenden Funktion auch wichtige soziale Aufgaben und dienen der Naherholung. Wir werden gemeinsam mit den Kieler Kleingärtner*innen das Angebot der Kleingartenanlagen in unserer Stadt zukunftsfähig machen und weiterentwickeln. Dazu werden wir die Umsetzung des Kleingartenentwicklungskonzeptes vorantreiben."
[Kooperationsvertrag, "Grünflächen und Stadtgrün"]

Alles in allem bleibt die Frage, was angesichts unterfinanzierter Kommunen überhaupt konkret umgesetzt werden kann. Ob in Kiel aus eigener Kraft überhaupt genug finanzieller Spielraum da ist, z.B. schnell vernünftige Radwege zu bauen. Oder ob es wie beim Kleingartenkonzept bei warmen Worten bleibt. Angesichts der Probleme, die zum Teil in Kiel hausgemacht sind, aber zum großen Teil auch von einer teilweise betrügerischen Autoindustrie verursacht wurden, sollten Kommunen wie Kiel beim Bund mit der Faust auf den Tisch hauen, dass es mehr als Peanuts und veralteter Fernstraßenplanungen bedarf, um die Probleme der Gegenwart und Zukunft zu lösen.

Die sowjetische Perestroika (Umgestaltung) der späten 80er, ganz nebenbei, wurde maßgeblich auch von der Atom-Katastrophe von 1986 in Tschernobyl beschleunigt. Das alte System kam ins Wanken.

Ob die Gerichte "begrünte Schutzmauern" (Kooperationsvertrag, "Maßnahmen zur Schadstoffreduktion") gegen Stickoxide als ausreichende Maßnahmen zur Abwehr von Fahrverboten am Theodor-Heuss-Ring ansehen werden?

Es bleibt so oder so zu hoffen, dass die Abkehr vom "System Auto" hin zur Verkehrswende beschleunigt wird und nicht nur in Kiel. Für die Anwohner*innen solcher Straßen ist der jetzige Zustand bereits eine Katastrophe. Vom Weltklima ganz abgesehen.