Holstein Kiel wird Deutscher Meister und ein Oberbürgermeister, der einigermaßen entspannt an einer Blumenwiese steht, wo früher einmal die B404 am Barkauer Kreuz war. Das wäre zusammengefasst in etwa genau das, was man sich bei bielenbergkoppel.de für die Landeshauptstadt im Jahr 2045 erträumt. Zumindest letzteres konnten die vielleicht 50 Neugierigen, die am Mittwoch der Einladung des NABU Kiel in die hübsche Tenne des Naturerlebniszentrum Kollhorst folgten, schon jetzt einmal live erleben. Wobei dieses Bild letztlich nicht wirklich der Wunschtraum aller Anwesenden war.

Die Anbindung der geplanten A21 an die Landeshauptstadt, eine Alternativplanung zur Südspange und die Situation am Theodor-Heuss-Ring und als Gast der amtierende OB Ulf Kämpfer: Zumindest das Setup des Abends versprach, weitaus spannender als die Restsaison der KSV zu werden. Eine Erwartung, die aber nur teilweise erfüllt wurde.

Aber eins nach dem anderen. In der Begrüßung verwies Hartmut Rudolphi für den NABU Kiel darauf, dass man mit dem Inhalt des Bundesverkehrswegeplans 2030 nicht glücklich sei. Und auch, dass man nicht immer zufrieden war, wie die Stadt mit Stellungnahmen des NABU hinsichtlich des Artenschutzes in der Vergangenheit umgegangen sei. In einem Fall hätte man auch eine Anzeige machen müssen.

Anschließend referierte OB Kämpfer den Stand der Planung bei der A21. Dabei gab es keine Überraschung. Nur wer gleichzeitig Ende März bei einer Veranstaltung der IHK Kiel im Haus des Sports mit dem OB zum Theodor-Heuss-Ring war, wird recht unterschiedliche Akzentuierungen wahrgenommen haben - um es neutral auszudrücken. Dort wurde Kämpfer für seine klare Haltung für die Südspange gefeiert (Dr. Kruse, IHK Kiel: "Danke für Ihr Bekenntnis zur Südspange!"). Am Mittwoch sprach Kämpfer hingegen wiederholt von dem "Dilemma" mit der A21. Immerhin stellte er aber wie auch zuvor bei der IHK klar, dass die Südspange nichts mit der aktuellen Diskussion zur Situation am Theodor-Heuss-Ring zu tun habe oder dort irgendwie relevant entlasten könnte. Was aber die Entscheidung über die Südspange angeht, so wies der OB beim NABU recht deutlich wieder den schwarzen Peter Richtung Bund. Eine klare Haltung, anders als bei der IHK: Fehlanzeige.

Ein Deckel?

Danach kam Hartmut Rudolphi zum spannenderen Teil. Zunächst gab er eine gute, optisch knackige Präsentation der Gründe gegen die Südspange. Neben Umweltschutzgründen lag der Schwerpunkt auf dem Verlust von Lebensqualität. Besonders bei diesem Punkt erklärte Rudolphi sein Unverständnis in Richtung SPD, die bisher die Südspangen-Planungen mit vorangetrieben hatte.

 

Gute Frage: Lärmbelastung ohne / mit Südspange

 

Der Faktor Lebensqualität ist offensichtlich auch ein Hauptmotiv für die alternative Vision des NABU für die heutige B404.

Sowohl auf die Südspange als auch auf die neu zu bauende Ausweichstrecke (Details siehe hier) nach Kronsburg solle verzichtet werden. Stattdessen möchte der NABU die B404 auf 1300 Metern bis zum Barkauer Kreuz deckeln, ähnlich wie die A7 in Hamburg. Eine Visualisierung zeigte eher symbolisch die eingangs erwähnte Blumenwiese auf dem Tunneldeckel. Vorteil aus Sicht des NABU neben dem Wegfall der Südspange Verringerung des Lärms und Aufhebung der Zerschneidung des Stadtteils. Die spielte auch in der späteren Diskussion zum Theodor-Heuss-Ring eine Hauptrolle, wo Rudolphi die bereits 2016 (.pdf) ins Spiel gebrachte Tunnellösung favorisierte. Im Grunde genommen könnte man den Vorstoß des NABU als "erweiterte Tunnellösung" bezeichnen.

Was ist davon zu halten?

Die Idee hat natürlich einigen Charme - gerade wenn man seit fast 30 Jahren Anlieger des Barkauer Kreuzes ist und insbesondere einen kürzeren B404-Deckel aufgrund der Topographie schon immer als Möglichkeit im Hinterkopf hatte. Und selbstverständlich ist jeder Beitrag hilfreich, der die absurden Planungen von Bund, Land und ehemaliger Ratsmehrheit angesichts der immensen Herausforderung der Klima- und Artenschutzkrise in Frage stellt. Die Idee für sich isoliert lässt aber viele Fragen offen. Auch Rudolphi wies in seinen Ausführungen auf die Notwendigkeit einer Verkehrswende inklusive Stadtbahn hin und dass es ein übergreifendes Gesamtkonzept für alle Verkehrsarten brauche. Und da wäre ein maßgeblicher Hebel, Verkehr mit konkreten Maßnahmen zu reduzieren. Ob nun den Güterverkehr oder den Pendelverkehr, wie unlängst auf bielenbergkoppel.de mit einer "Gleis-Südspange" angeregt. Ein Deckel für sich könnte nur Teil einer Lösung sein, die "Verkehrswende" heißt.

Und dann wurde noch diskutiert ...

War der Abend bis dahin doch recht konstruktiv und kooperativ verlaufen, so kam man sich in der anschließenden Diskussion teilweise wie auf einer Live-Vorführung von Facebook-Gemecker vor. "Schauen Sie sich doch mal an, wie es auf der B404 aussieht!" hieß es von einem Diskussionsteilnehmer, der erregt Partei für die anscheinend einzig seligmachende Südspange ergriff. Natürlich war es gut, auch mal direkt das Märchen von der Entlastung der Alten Lübecker Chaussee durch die Südspange, das eine ebenso erregte Dame erzählte, mit konkreten, belegten Zahlen zu zerlegen. Die Dame wird vermutlich auf der nächsten Veranstaltung das gleiche Märchen wieder erzählen.

Ein Großteil der Wortmeldungen kratzte notgedrungen eher an der Oberfläche. In Zeiten der Klimakrise noch ernsthaft bei Adam und Eva anfangen zu müssen, und erregten Autofahrern die Notwendigkeit einer Verkehrswende erklären zu müssen, ist im Grunde genommen eine Verschwendung von Ressourcen. Vermutlich wäre ein anderes Format, das sich auf diejenigen fokussiert hätte, die nach Lösungen im Sinne einer Verkehrswende suchen, zielführender gewesen.

Denn auch der OB bewies durchaus, dass er an dieser Debatte Interesse hatte. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf passende, positive Beispiele anderer Städte, wo Dinge besser laufen. Und im Publikum war sicher einiges an verkehrspolitischer Expertise vorhanden. Man hätte sicher in kleinerem Rahmen eine spannendere Diskussion führen können. Wirklich erfreulich war aber, dass auch jüngere NABU-Mitglieder den Mund aufmachten und dabei auch grundsätzlichere Fragen aufwarfen.

Was die vorgeschlagene erweiterte Tunnellösung anging, so zeigte sich Kämpfer eher reserviert. Für die aktuellen Probleme am TH-Ring käme das sowieso zu spät. Und neben der Kostenfrage wäre zu klären, wie so eine große Baumaßnahme bei laufendem Verkehr überhaupt möglich wäre. Seitens des NABU bat Rudolphi, diese Variante ernsthaft und gutachterlich zu prüfen. Eine Forderung, der man sich sicher anschließen kann.

Was aber völlig zu kurz kam ...

Großbritannien rief unlängst den Klimanotstand aus. Kiel wird möglicherweise als erste deutsche Großstadt folgen. Schüler streiken weltweit freitags für ihre Zukunft. Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig, dass radikale Maßnahmen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs und des Erhalts der Arten ergriffen werden müssen. Eine Diskussion, die nicht grundsätzlich den Neubau von Straßeninfrastruktur in Frage stellt, ist im Grunde genommen ebenso aus der Zeit gefallen wie ein Holsteinfan, der sich noch am Viertligisten VfB Lübeck abarbeitet.