Es war so schön einfach bei der letzten Kieler Oberbürgermeisterwahl: Lag einem 2014 der vollständige Erhalt des Kieler Grüngürtels am Herzen, so konnte man einfach beim parallel stattfindenden "Möbel Kraft"-Bürgerentscheid ein klares Votum abgeben. 2019 sieht das ganz anders aus: Nicht nur, dass man die Wahlentscheidung für einen Kandidaten nun noch mit anderen Themen gewichten muss. Darüber hinaus wird sogar in Frage gestellt, dass die drohende weitere Zerstörung des Grüngürtels durch die Südspange überhaupt etwas mit der Kommunalpolitik zu tun habe. Der Bund plant sozusagen ein paar Jahre vor sich hin und am Ende gibt es die tolle große Bürgerbeteiligung vor Ort, wo wir dann über die Farbe der Lärmschutzmauer das "ob" diskutieren. Manche Leute glauben so etwas.
Wie halten es also die OB-Kandidaten mit der Südspange? Eine gute Gelegenheit, sich ein Bild zu machen, bot am vergangenen Mittwoch eine Diskussion mit Schwerpunkt Klimaschutz, zu der die Grüne Jugend ins "mmhio" im Knooper Weg eingeladen hatte. Das Setting des Abends war spannend - und man wurde letztlich auch nicht enttäuscht. Denn die Grüne Jugend hat sich bisher - im Gegensatz zur Mehrheitsentscheidung der Kieler Grünen - nicht eindeutig für den Amtsinhaber Ulf Kämpfer ausgesprochen.
Im Vorfeld bekamen verschiedene Verbände und Initiativen von NABU über Greenpeace bis hin zur "TKKG" die Gelegenheit, jeweils bis zu zwei Fragen einzureichen oder selbst vorzutragen. Und die geschätzt 80-100 meist jungen Zuhörer*innen im brechend vollen Saal konnten sowohl vor, als auch nach der Diskussion ihre Stimme (oder Enthaltung) abgeben.
1. Abstimmung: Kämpfer vor Thoroe
So kam es, dass vor Beginn der Diskussion Ulf Kämpfer mit 41% vor Björn Thoroe (33%) und dem PARTEI-Kandidaten Florian Wrobel (16%) lag. Die nur 4% für CDU-Mann Andreas Ellendt waren in diesem Umfeld sicher nicht überraschend.
Eine schöne Überraschung war hingegen, dass die beiden größten Umweltschutzverbände, der BUND und der NABU, zufällig sinngemäß beide die gleiche Frage einreichten. Was ist mit der Südspange? Und wie wird sich Kandidat XY verhalten, wenn sich die Ratsversammlung gegen die Bundesplanung aussprechen sollten?
Andreas Ellendt - CDU
Schon die Antwort von Ellendt war sehr bemerkenswert: Nach dem obligatorischen Verweis, dass das ja Bundesplanung sei ergänzte er, dass er "in Verhandlungen mit dem Bund treten" werde, wenn sich die Ratsversammlung gegen dieses Projekt ausspreche. Das ist im Grunde genommen eine mutigere Aussage, als sich derzeit die Grünen-Ratsfraktion traut. Denn dass zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt die Möglichkeit der Ratsversammlung zur Intervention besteht, wird des Kooperationsfriedens wegen offiziell abgestritten.
Bei Ellendt muss man trotzdem leider hinzufügen: er selbst oder das unter seinem Namen agierende Facebook-Team hat sich im Vorfeld in Sachen Südspange nicht mit Ruhm bekleckert. Die Story geht so: der Verfasser dieser Zeilen kritisierte auf Facebook Ende Juli eine skurrile Interviewpassage in den KN, wo Ellendt den Bau der Südspange im Zusammenhang mit drohenden Dieselfahrverboten am Theodor-Heuss-Ring als Lösung ins Spiel brachte. Daraufhin kam eine Messenger-Nachricht von Ellendts Account, dass die genaue Lage der Südspange ja noch gar nicht festgelegt sei. Was, nun ja, durchaus bekannt war. Als Antwort lud bielenbergkoppel.de Herrn Ellendt u.a. höflich zu einem Ortstermin ein, um sich selbst ein Bild machen zu können. Keine direkte Antwort dazu. Gut eine Woche später aber beschwerte sich der Ellendt-Account via Facebook-Posting darüber, dass man in Kiel einen "Shitstorm selbsternannter Klimaschützer" ernte, wenn man das Wort "Südspange" in den Mund nehme. Puh ...!
Florian Wrobel - PARTEI
Florian Wrobel von der PARTEI hingegen hatte eine Einladung zum Ortstermin sofort angenommen, obwohl die Koppel nicht wirklich barrierearm ist für einen "Kandidaten mit Durchblick". Letztlich hat es dann doch terminlich zwei Mal aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt. Wrobels Statement zur Südspange war dennoch vom Feinsten: "Zusammen mit der Ratsversammlung und Euch werden wir so lange gegen die Südspange demonstrieren, bis der Bund so genervt ist, dass er das Interesse verliert". BÄM! - Applaus aus dem Plenum.
Wrobel konnte an diesem Abend durchaus auch zu anderen klimapolitischen Fragen mit Haltung & Humor punkten. Und auch im Vorfeld eigentlich nur Positives wie das Interview auf kielaktuell.com oder auch die Teilnahme an der schon legendären "Autofrei-Demo" über den Theodor-Heuss-Ring im April. Kurzum: Das mit dem Bierchen in der Botanik kann gerne noch nachgeholt werden.
Björn Thoroe - DIE LINKE
"Kiel ab jetzt besser machen" will Björn Thoroe als Kandidat der LINKE. Und präsentierte sich zum Thema Südspange als derjenige, der besser vorbereitet war und zumindest dafür sorgen will, dass Kiel mit einer Südspange nicht schlechter gemacht wird. Gut zwei Stunden lang hatte sich Thoroe Ende August das betreffende Gebiet im Kieler Süden zeigen lassen und wusste nun am besten, über welches Ausmaß an potenzieller Naturzerstörung er da redete: "Gegen jede Vernunft" seien die Südspangen-Planungen. Und dass der Bund angesichts vieler anderer Projekte doch froh wäre, wenn Kiel die Südspange nicht wolle. Viel Beifall.
Nachdem auch die LINKE in Kiel das Thema lange Zeit verschlafen hatte, so muss man seit dem Sommer feststellen, dass sie die Leerstelle, die kontur- und haltungslose Kieler Grüne hier hinterlassen haben, mittlerweile erfolgreich besetzt hat.
Ulf Kämpfer - SPD
"Es ist komplizierter" begann Kämpfer seine Ausführungen zur Südspange. Der Bund wolle bauen. Der viele Verkehr werde kommen. Es gab andere Varianten, die geprüft wurden. Und ja, unter Umweltgesichtspunkten sei die Südspange die schlechteste Variante. Die Ratskooperation habe "mit sich gerungen" und werde "im Rahmen der Planung des Bundes" diesen Prozess begleiten. Seine Position sei "keine klare Gegnerschaft" gegen die Südspange. Etwa 2 Händepaare deuteten kurzzeitig ein Klatschen an - und das wohl auch eher als versehentlicher Reflex.
Kompliziert ist in der Tat die Haltung des amtierenden OB. Denn je nach Kontext, für oder gegen Südspange, ist die Erzählung eine andere. Von klarer Befürwortung über "keine klare Gegnerschaft" bis "Riesendilemma".
- "Wir warten dringend darauf, dass die Planung mal losgeht ... Ich persönlich glaube, dass die Südspange die richtige Variante ist" (NDR-Fernsehen, 2.10.18)
- "Die Südspange und die Ostuferentlastungsstraße (Ostring II) stehen wie auch der Bau der A21 im Bundesverkehrswegeplan und haben überregionale Bedeutung insbesondere für die Hinterlandanbindung der Häfen. Gerade der Bau der Ostuferentlastungsstraße bietet Potenzial im Sinne der Verkehrswende, da der vierstreifige Ostring zweispurig zurück gebaut werden könnte. Die frei werdenden Flächen können für komfortable Fuß- und Radwege genutzt werden. " (Schriftliche Antwort auf eine Bürgerfrage im Zuge einer BUND-Veranstaltung am 18.1.19)
- "OB Kämpfer bekräftigt seinerseits seine Forderung nach einer Südspange" (KN 10.2.19, IHK fordert Südspange)
- Auf IHK-Veranstaltung am 28. März im Haus des Sports klare Positionierung pro Südspange.
- Auf NABU-Veranstaltung im Mai weder pro noch contra. A21-Anbindung stattdessen ein "Riesendilemma".
- Lediglich Verweis auf Bundesplanung ohne eigene Positionierung bei der Klimawerkstatt an der Kiellinie am 22.9. Auf die Frage, wie er sich bei einer Ratsmehrheit contra Südspange verhalten würde: "Das wird nicht kommen".
Wenn man die Position auf ein Wort herunterbrechen sollte, wäre die freundliche Variante wohl "Wischiwaschi". Der Vollständigkeit halber: Kämpfer war der einzige Kandidat, der nicht explizit zu einem Ortstermin auf die Bielenbergkoppel eingeladen wurde. Aber natürlich wäre auch der OB/Ex-OB jederzeit willkommen, sich das mal anzugucken. Am allerliebsten aber 2034, wenn der Kleingartenverein dann sein 125-jähriges Jubiläum auf der Koppel feiert. Zum Feuerspucken.
2. Abstimmung: Die beiden grünen Kandidaten hängen Kämpfer ab
In der zweiten Abstimmung nach der Diskussion bekam Kämpfer als offizieller Kandidat der Kieler Grünen nur noch 37%. Die beiden grünen Kandidaten kamen zusammen auf 58%, wobei Thoroe alleine mit 41% an Kämpfer vorbei zog. Das entsprach auch der subjektiven Wahrnehmung, dass Thoroe und Wrobel mit klaren Aussagen gepunktet hatten, während Kämpfer eher rumeierte. CDU-Mann Ellendt hatte nichts zu verlieren, gewann aber auch nichts mit netten Allgemeinplätzen.
Wen wählen?
Aus "Grüngürtel-Perspektive" macht man also mit einem Kreuz am 27. Oktober bei Björn oder Florian sicher nichts falsch. Je höher die Wahlbeteiligung ist, umso eher würde es doch noch zu einer überraschenden Stichwahl kommen. Und dafür wäre es das Beste, wenn Grünen-Wähler*innen zumindest im ersten Wahlgang ihr Kreuz bei "Björn" machen und traditionelle Nichtwähler*innen und Leute, die die LINKE doof finden, dann bei "Florian".
Stichwahl ohne CDU - ein Traum!