Auf dem Papier klingt es gut, wenn auch nicht wirklich überambitioniert: Im Zuge des Masterplanes "100% Klimaschutz" der Stadt Kiel soll der Anteil des Radverkehrs in Kiel am Gesamtverkehr von 17% im Jahr 2015 auf 26% im Jahr 2050 steigen (Zum Vergleich: Kopenhagen hatte 2015 bereits 30% Radverkehrsanteil und plant bis 2025 mit 50%). Zitat: "Kiel versteht sich als Fahrradstadt".
Wie sieht es also mit der Förderung des Radverkehrs im Zuge der Südspangen-Planung aus? Gerade auch in Hinblick auf den rasant wachsenden Stadtteil Meimersdorf im Süden? Was man aus der bisherigen Vorplanung herauslesen kann ist folgendes: Eine bereits mäßige Situation wird katastrophal.
Aber eins nach dem anderen.
Die vom Bund favorisierte Variante der A21-Anbindung an Kiel heißt, dass die geplante A21 statt der jetzigen B404 zum Barkauer Kreuz geht. Die Südspange wird als vierspurige Bundesstraße durch den Grüngürtel Richtung Konrad-Adenauer-Damm/B76 gebaut, was im Bundesverkehrswegeplan als "vordringlicher Bedarf" aufgeführt ist. In der sogenannten Variantenprüfung, die vom Kieler Tiefbauamt in Auftrag gegeben wurde und seit vorletztem Jahr vorliegt, entspricht dies dem "Planfall 1".
Bevor wir die Radverkehrsplanung des "Planfall 1" genauer betrachten, lohnt ein beispielhafter Blick auf die heutige Situation für Zweiräder im Bereich der B404, die u.a. die direkte Verbindung des Gewerbegebietes Wellsee und des Stadtteils Meimersdorf mit der Innenstadt ist. Wenn wir, vom Sophienblatt kommend, die Kreuzung Alte Lübecker Chaussee / Stormarnstraße als Ausgangspunkt für eine Fahrt zum famila-Markt in Neumeimersdorf nehmen, so ist die Strecke jetzt so:
Nachdem man mit dem Rad bis zu 5 Ampeln und teils steingepflasterte Radwege am Barkauer Kreuz passiert hat (Auto: maximal 2 Ampeln), geht es erst einmal einen Berg entlang der B404 hoch, den sog. "Hornheimer Riegel", den man durchaus als Kaufargument für Pedelecs sehen kann. Oben angekommen ist noch einmal eine Ampel an der Hofteichtstraße und dann geht es recht flott bis zur Brücke über die Bahnlinie Kiel-HH bei Kronsburg. In Sichtweite der famila-Werbung rechter Hand dann die Überraschung: Statt wie die Autos ebenerdig geradeaus weiter Richtung famila zu fahren, wie es der "angedeutete" Radweg nahelegt, müssen Radfahrer*innen nun erst links bergab Richtung Kronsburg fahren. Unten angekommen geht es dann wieder scharf rechts, um die B404 zu unterqueren und dann anschließend links wieder bergauf, um endlich famila zu erreichen. Insgesamt 2,9 nicht wirklich schöne Kilometer (Auto: 2,7km). Wer viel Zeit hat, nimmt die schönere, aber viel längere Route über den Hörn-Eidertal-Wanderweg. Aber dazu gleich mehr.
Auf den 150 Seiten des "Erläuterungsberichts" [pdf, 11.5MB] zur A21-Variantenprüfung gibt es insgesamt 5 Sätze und zwei grobpixelige Grafiken zum Thema "Fußgänger und Radfahrer". Und die haben es in sich. Wenn die Südspangen-Planung wie im "Planfall 1" umgesetzt wird, heißt das: Auf der Autobahn dürfen weder KVG-Busse fahren, noch gibt es einen Radstreifen. Dieser Verkehr wird umgeleitet. Die Flintbeker Straße, die heute an einem Wendehammer am Kleingartengebiet (u.a. Bielenbergkopppeln 2-4) endet, soll zur Durchgangsstraße für die Linienbusse werden und durch die Gärten runter zum jetzigen Hörn-Eidertal-Wanderweg verlängert werden. Zitat Erläuterungsbericht: "Für die Umsetzung der neuen Straßenverbindung für die nachgeordneten Verkehre müsste der vorhandene Eider-Hörn-Radweg überplant werden." (S.110).
Zurück zum Beispiel. Der Radverkehr aus der Innenstadt soll im Zickzack gen Süden geführt werden: Vom Sophienblatt kommend gehts in der Alten Lübecker erst einmal links ins Gewerbegebiet Stormarnstraße, rechts-links-rechts-links über Lauenburger Straße, Tonberg und B76-Unterführung zum netten Trampelpfad an den Bahnschienen entlang mit zwei 90-Grad-Schwenks auf den Hörn-Eider-Wanderweg, pardon: ehemaligen Wanderweg. Weiter gehts ebenerdig eine längere Strecke auf der neuen, gut ausgebauten Straße (6,5m Breite wegen der Busse!) zum neuen Autobahnkreuz Karlsburg am Viehburger Gehölz. Dort fährt man hinter dem Straßengewusel noch eine Schleife hoch (siehe Grafik), um dann die Bahnlinie auf einer neuen Brücke überqueren zu können, fährt jenseits der Brücke steil bergab, um dann das letzte Stück zu famila wieder bergauf zu fahren. 3,6km Zickzack mit dem Rad - 2,7km direkt mit dem Auto. Geil, oder?
Und nun die Preisfrage. Wenn den vielleicht 3500 Neubürger*innen in den 1600 neu geplanten Wohneinheiten in Meimersdorf sowohl eine Autobahn, als auch eine 4-spurige Schnellstraße vor die Nase gesetzt wird und bei mäßigem ÖPNV-Angebot die Fahrradsituation einem Schildbürgerstreich gleicht: Für welches Verkehrsmittel entscheiden die sich für das tägliche Pendeln in die Innenstadt? Na klar, für das Rad!
Ein kleiner Nebenaspekt der Geschichte: Einen Steinwurf von famila entfernt ist das Druckzentrum der Kieler Nachrichten. In der Anfahrtsinfo des Druckzentrums hat man gleich darauf verzichtet, eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar dem Rad zu beschreiben. Selbstverständlich werden die Kieler Nachrichten in den nächsten Jahren völlig unvoreingenommen über die Alternativlosigkeit dieser A21/Südspangen-Planung berichten. Schließlich gibt man neben dem samstäglichen Autoteil, der regelmäßigen Pferde-Seite und den täglichen halbseitigen Börsenkursen (für die vielen Aktionäre ohne Internet) ja auch regelmäßig eine grandiose Velo-Beilage für die Fahrradstadt Kiel heraus.
Der Schreiber dieses Blog-Artikels bedauert, dass er diese leider bisher immer verpasst hat.
Bildnachweise
(1) bielenbergkoppel.de, CC BY-SA 4.0
(2) vorher-Bild: Open Street Map, bearbeitet, nachher-Bild: LH Kiel, Variantenprüfung A21, Planfall 1 Nord, Plannummer V 2.0, bearbeiteter Bildausschnitt