261 mal Daumen hoch und 10 mal Love zu 20 Haha, 5 Wütend und einer Trauer bei 4 Enthaltungs-"Wow". Gut 90% Zustimmung. Nicht für die ersatzlose Streichung von Politiker-Diäten oder Freibier für alle, sondern pro Schiene. So jedenfalls die Interaktion auf der Facebook-Präsenz der Kieler Nachrichten zum Beschluss der Kieler Ratsversammlung, einen neuen Anlauf für eine neue Stadtbahn zu nehmen. Stand 17.11.18, 13:10 Uhr.

Beliebter als Freibier: Stadtbahn für Kiel. (2)

Natürlich ist das keine repräsentative Umfrage. Doch wenn man weiß, wie an gleicher Stelle ansonsten städtische Großprojekte wie die "Ratsrinne" (Kleiner Kiel Kanal) oder mögliche Einschränkungen des Autoverkehrs kommentiert werden, ist das als Stimmungsbild mehr als beachtlich.

Beachtlich ist auch, mit welch großer Mehrheit der Beschluss am vergangenen Mittwoch gefasst wurde. Denn neben den üblichen Verdächtigen (Grüne, Linke, SPD) waren nicht nur "Partei", Piraten und SSW mit an Bord, sondern auch die FDP. Und selbst die CDU hat es angesichts interner Uneinigkeit zur Stadtbahn nur noch geschafft, einen gesichtswahrenden Pseudo-Alternativantrag zur Stadtbahn einzubringen, der letztlich eine Stadtbahn aber nicht ausschloss. Nur die sogenannte AfD blieb ganz außen vor und stimmte nach kurzem Anti-Statement am Ende überhaupt nicht mit. Gut so.

Vielleicht mag der eine oder die andere noch klammheimlich hoffen, dass die angedachte Bürgerbeteiligung das Projekt noch kippen könnte. FDP-Ratsfrau Musculus-Stahnke betonte jedenfalls in ihrer Rede, dass man das Projekt "nicht gegen die Bürger" durchsetzen solle. Man kann vermuten, dass hierbei diejenigen mit Gewerbeschein in der Holtenauer Straße gemeint waren.

Ein bisschen Kiel-Feeling: Letbane Arhus (3)

Aber mal ehrlich: Dieser Drops ist gelutscht. Und wie man hört, hatte sich die FDP durchaus konstruktiv in die Formulierung des Beschlusses eingebracht. Insbesondere in Bezug auf mögliche Zumutungen für Gewerbetreibende während der Bauphase. Das hatte man wohl während der gescheiterten Planung zur Stadtregionalbahn nicht ausreichend auf dem Schirm.

Selbstverständlich bleibt bei so einem Konsens-Beschluss auch noch Luft nach oben. So ist bei der geplanten Konzepterstellung gleich zwei Mal lediglich von der Linienführung der "ersten" Linie die Rede. Hier hätte man auch gleich reinen Wein einschenken können, dass eine Linie nicht reichen wird, um eine Stadtbahn in Kiel wirtschaftlich, d.h. auch "förderfähig" betreiben zu können. Die Beteiligten wissen das vermutlich auch. Wahrscheinlich ist man von mehreren gescheiterten Anläufen für ein Schienenprojekt noch so "traumatisiert", dass nun übervorsichtig agiert wird.

Rasengleise in Strassbourg (4)

Da muss Druck auf den Kessel!!!

Der Verein "Tram für Kiel" fordert folgerichtig einen "ersten Spatenstich 2023". In der Tat ist das größte Problem nicht mangelnde Zustimmung aus der Bevölkerung, sondern mangelnder Glaube, dass das endlich was wird. Gerne geistern ominöse 10 bis 20 Jahre bis zur Fertigstellung durch die Debatten. Daran ist auch der Oberbürgermeister nicht schuldlos, der lange Zeit von einer möglichen Stadtbahn wie von einer fernen Apollo-Mission sprach. Und auch wichtige Radverkehrsprojekte wie eine vernünftige Velo-Route im Bereich Werftstraße dürfen nicht ewig mit Verweis auf mögliche Linienführungen der Stadtbahn in der Warteschleife hängen bleiben.

Der spannendste Teil geht nun los. Was ist machbar. Wo solls langgehen. Wie gestaltet man Stadt neu. Sicher wird hier, von dieser Seite, weiter für die Tram nach Süden getrommelt werden. Das größte Gewerbegebiet der Stadt, das größte Wohnungsbauprojekt der Stadt: Wellsee und Neumeimersdorf - und die Gleise liegen teilweise schon. Unnötigen Autoverkehr an der Quelle bekämpfen statt mit einer Südspange weiteren Verkehr provozieren.

Kiel neu erfinden ...

Wenn man in andere Städte schaut, die neue Stadtbahnen bereits realisiert haben (wie Arhus) oder in der Planung einen Schritt weiter sind (wie Regensburg) sieht man, welch eine Dynamik eine Stadtbahn auslösen kann. Es geht um nichts weniger als um die Lebensqualität einer Stadt. Brauchen wir all die Parkplätze noch? Muss jede Straße jederzeit für alle Autos befahrbar sein?

Tram in Rom (5)

Stellen wir uns die Holtenauer Straße vor, die vom Dreiecksplatz bis zum Knooper Weg nur noch "Lieferverkehr frei" ist. Die Stadtbahn mit Rasengleisen in der Mitte und weiten Rad- und Fußgängerbereichen seitlich. Restaurants und Cafés dehnen sich bis weit in den jetzigen Straßenraum aus. Kein Autolärm und Gestank mehr. Man muss nicht einmal den Begriff des "mediterranen Flairs" bemühen: selbst das von Herbert Grönemeyer besungene Bochum ("Vor Arbeit ganz grau") hat mit seinem "Bermuda3eck" mehr an Straßengastronomie zu bieten als Kiel jetzt.

Und sicher werden auch die Stadtteile, die an die Bahn angebunden werden, im positiven Sinne umgekrempelt werden. Dort, wo 2030 sowohl die Stadtbahn langläuft, als auch vernünftige Fahrradrouten zur Verfügung stehen, wird das Stadtbild nicht mehr von rumstehenden Autos geprägt sein. Platz für Stadtgrün, Platz für spielende Kinder, Platz vielleicht auch für neue Wohnungen. Wellingdorf oder Dietrichsdorf die neuen maritimen und studentischen "In"-Quartiere der Stadt? - Warum nicht!

... bevor es zu spät ist.

Der wichtigste Grund, jetzt endlich eine Stadtbahn aufs Gleis zu bringen, ist aber im Endeffekt nicht, Kiel schöner zu machen. Was gerne vergessen wird: Stadtbahnen sind eine bewährte Form der Elektromobilität. Und gerade hier im "echten Norden" ist der Strom bereits jetzt zum größten Teil sauber. Stadtbahnen ersetzen viele Autos oder Busse, die heute noch das Klima belasten. Und der vergangene Sommer mit Dürre und Dauerhitze war nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird und noch schlimmer werden könnte, wenn nicht jetzt umgesteuert wird. Eine Kieler Tram allein rettet sicher nicht die Welt - aber ein klitzekleines bisschen schon.

Der Betreiber von "Bielenbergkoppel" engagiert sich seit 2013 beim Vorgängerverein von "Tram für Kiel". Das ist, ganz nebenbei, auch Jahre bevor die Südspange überraschend in den "vordringlichen" Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes aufgenommen wurde. Nicht um die Welt zu retten, sondern aus purem Eigennutz. Der Schreiber wünscht sich, auch noch mit 100 in dieser großartigen Stadt mobil zu sein und Spiele der ruhmreichen KSV im Holsteinstadion live verfolgen zu können. Das mit dem Fahrradfahren klappt aber eventuell mit 98 nicht mehr, vielleicht auch schon nicht mit 75. Und nach ein paar Bieren sowieso nicht. Und beim Busfahren wird einem doch übel. Sogar nüchtern.

Bildnachweise

(1) Bild oben: Tram in Montpellier, Richard Codina (CC BY-NC-SA 2.0)
(2) Stadt Kiel, Montage bielenbergkoppel.de
(3) wikimedia
(4) wikimedia
(5) Stephen Rees, (CC BY-NC-SA 2.0)