Vorbemerkung ...

KN 25.2.2019, Ausschnitt

"Das ist mal endlich ein neuer, sinnvoller Vorschlag, um weniger im Stau zu stecken" - so ein ungenannter Meimersdorfer, den die Kieler Nachrichten vom 25. Februar zitieren. Gemeint ist die einstimmige und parteiübergreifende Anregung des Ortsbeirates Meimersdorf / Moorsee, dass im Zuge der Neubauplanungen im Kieler Süden gleich eine Stadtbahnanbindung mitgedacht werden solle. Und zwar über das vorhandene Industriegleis ins Gewerbegebiet Wellsee.

Das ist kein Votum für oder gegen die Südspange, sondern ein absolut naheliegendes Anliegen eines betroffenen Ortsgremiums, wenn man die Verkehrsprobleme im Kieler Süden aus dem Blickwinkel des Jahres 2019 betrachtet und nach Lösungen sucht.

Auf Seiten von bielenbergkoppel.de ist diese Variante bereits öfters ins Spiel gebracht worden und natürlich in dem Kontext, Alternativen zu den vier untersuchten Planfällen (inkl. Südspange) der Anbindung der A21 nach Kiel zu schaffen.

In diesem Diskussionsbeitrag soll es aber weniger um die "Straßen-Südspange" gehen, sondern darum, eine Südspange sozusagen aufs Gleis zu bringen. Unabhängig von der Frage, ob die Straße kommt. Denn bei aller Euphorie, die die Berichterstattung zum Votum des Ortsbeirates ausgelöst hat: Für eine Stadtbahnlinie braucht es mehr als ein Gewerbegebiet und ein Neubaugebiet, damit sich das langfristig rechnet. Und das kann es vermutlich, wenn man die Stadtbahn mit einem zukunftsfähigen Mobilitäts-Konzept wie in Straßburg verbindet. Und da wäre Park & Ride ein wichtiger Baustein.

Die Ausgangslage

Bis zu 110.000 Autos befahren heute täglich den Kieler Theodor-Heuss-Ring an seinen verkehrsreichsten Abschnitten rund um das Barkauer Kreuz. Laut aktuellem PTV-Verkehrsgutachten (*1) entfällt davon im Abschnitt bei der wohl berühmtesten Luftmessstation des Landes nur 13% auf reinen Durchgangsverkehr. Der Rest fährt nach und kommt nach Kiel (52%) oder ist ganz und gar Kieler Verkehr (36%). Wir reden hier also zu einem großen Teil über ein hausgemachtes, Kieler Problem.

Etwa 70% der etwa 43.000 Autos, die am Tag das Barkauer Kreuz nach oder von Richtung Süden passieren, kommen derzeit von der B404 oder fahren in diese Richtung. Und dabei handelt es sich nicht nur um Verkehr von und zu entfernten Zielen, sondern auch um Verkehr aus dem Gewerbegebiet Wellsee und Stadtteilen wie Kronsburg oder Meimersdorf.

Weitere Steigerungen sind prognostiziert, wenn die A21 bis nach Kiel gebaut ist und natürlich auch, wenn das Neubaugebiet in Neumeimersdorf fertig ist. Die Südspange, die teilweise als Maßnahme zur Entlastung dieser Situation genannt wurde, würde daran laut Prognosen im Zuge der Variantenprüfung zur Anbindung der A21 wenig ändern und im Bereich Alte Lübecker Chaussee sogar kontraproduktiv wirken. Ebenso würde die untersuchte Variante, Verkehr über den Wellseedamm Richtung Ostufer zu führen, nur nach dem St. Florians Prinzip eine Belastung verlagern, ohne wirklich eine Lösung zu sein oder nennenswerte Entlastung für den TH-Ring zu bringen.

Mehrere Buslinien führen sowohl ins Gewerbegebiet, als auch nach Meimersdorf. Die schon jetzt suboptimale Radanbindung wurde bereits hier thematisiert. Wenn man sich sowohl im Gewerbegebiet, als auch in einer Meimersdorfer Straße wie Grot Steenbusch die Präsenz von parkenden PKW vor Ort anschaut, bekommt man einen Eindruck davon, dass die vorhandenen Alternativ-Optionen zum Privatauto bisher nicht sehr erfolgreich sind.

Dies ist der erste Ansatzpunkt, um im Kieler Süden für eine echte Entlastung zu sorgen. Der zweite Ansatzpunkt sind die Menschen, die von weiter weg nach Kiel kommen. Um hier zu arbeiten, zu shoppen, ins Theater zu gehen, die Kieler Woche zu besuchen oder Spiele des THW oder der KSV Holstein zu schauen. Ein möglicher dritter Ansatzpunkt wäre sogar der Güterverkehr zum Ostuferhafen - aber das eher als optionales Gedankenspiel.

Erstens: Eine Stadtbahnlinie für den Kieler Süden

Es soll hier nicht (wieder) die grundsätzliche Frage geklärt werden: warum Schiene? Warum nicht den Busverkehr ausbauen? In Regensburg gab es dazu ein Gutachten (*2). Vereinfacht gesagt: Busse könnte man billiger haben, sind aber nicht leistungsfähig genug, wenn man das Ziel hat, den Autoverkehr zu verringern und den ÖPNV zu stärken. Das gilt umso mehr für das doppelt so große Kiel.

Haltestellen mit Einzugsgebiet < 10 Minuten Fußweg

Eine Stadtbahnlinie in den Kieler Süden hätte das Potenzial und die Leistungsfähigkeit, im Gesamtkontext weiterer Maßnahmen Autoverkehr zu vermeiden. Und böte im Unterschied zu einem reinen Bus-ÖPNV auch Möglichkeiten der Mitnahme von Rad oder E-Roller.

Mit Führung über die alte Industrietrasse und einer möglichen Verschwenkung im Bereich Wellseedamm Richtung Neubaugebiet könnte die Trasse wie in der eingebetteten Karte (unten) aussehen. Im Bild (Vergrößerung anklicken) ist jeweils ein Umkreis um die möglichen Stationen von etwa 600m Luftlinie gezogen, entsprechend maximal 10 Minuten Fußweg. Sozusagen als direkter Einzugsbereich. Die Linie ist nur ab/vom Hauptbahnhof eingezeichnet. Welcher nördliche Endpunkt sinnvoll wäre, bleibt offen.

Mögliche Haltepunkte und Einzugsbereich

  1. Gaarden-Süd: Gewerbegebiete Stormarnstraße und Tonberg, Wohnquartiere Alte Lübecker und rund um die Sörensenstraße. Möglicher Umstiegspunkt, falls tangentiale Stadtbahnlinie auf TH-Ring gebaut wird.
  2. Wellsee-West: Wellseer Neubaugebiet, Teile von Kronsburg. Eine gut ausgebaute Radinfrastruktur (Abstellanlagen) wäre sinnvoll für eine Erweiterung des Einzuggebietes bis zur Segeberger Landstraße und darüber hinaus.
  3. Wellseedamm: Gewerbegebiet, Ausgangspunkt für Shuttle-ÖPNV für das Gewerbegebiet (später autonom?), Radstation, Park & Ride. Dazu später mehr.
  4. KN-Druckzentrum: Gewerbegebiet + Neumeimersdorf. Insbesondere im Zusammenhang mit den Planungen, Nebenverkehre inklusive Radverkehr westlich der späteren A21 zu führen, würde es sich hier besonders anbieten, eine Radstation einzurichten für Rad-/E-Bikefahrer*innen aus dem südlichen Umland.
  5. Endhaltepunkt Neumeimersdorf: Neubaugebiet mit 2000 Wohneinheiten, Ausgangspunkt für Shuttle-ÖPNV (später autonom?) für Meimersdorf, Radinfrastruktur.

Zweitens: Autos bleiben draußen - Park & Ride im Gewerbegebiet

Viele Pendler*innen aus dem Süden berichten, dass sie keine andere Möglichkeit hätten, als mit dem Auto nach Kiel hineinzufahren, da es keine entsprechenden Angebote im ÖPNV gäbe. Hier wäre das Angebot, das Auto einfach am Stadtrand im Gewerbegebiet Wellsee stehen zu lassen, statt nach Kiel hineinfahren zu müssen. Sicher auch kombiniert mit weiteren Maßnahmen - Stichwort Parkraumbewirtschaftung in der Innenstadt oder gar City-Maut. Exemplarisch sei hier das sehr erfolgreiche Straßburger Modell genannt, das Park & Ride mit Tram kombiniert (siehe Video). Gerade Wellsee böte sich an, da es nur Richtung Süden seit vielen Jahrzehnten keine Bahnalternative mehr gibt und anders als bei Hein-Schönberg  sicher niemand auf die Idee kommen würde, die 1961 stillgelegte Kleinbahnstrecke nach Bad Segeberg zu reaktivieren.

Gerade auch in Zusammenhang mit Großveranstaltungen wie der Kieler Woche oder dem Weihnachstmarkt (wie in Straßburg) böte sich die Chance, hier für eine starke Entlastung der Stadt zu sorgen und den Individualverkehr draußen zu lassen.

Im Zusammenhang mit einer möglichen Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Neumünster und Ascheberg mit einem ländlichem ÖPNV-Knotenpunkt Wankendorf wäre zudem eine generelle Aufwertung des ÖPNV in der Region denkbar - sei es z.B., dass die Taktung der jetzigen Buslinie 410 zwischen Wankendorf und einer Station Wellseedamm verstärkt würde.

Doch ein "vollständiger" Autobahnanschluss Edisonstraße?

In der Sitzung des Ortsbeirates Wellsee / Kronsburg vom 5. Februar bemängelte der Vertreter des Wellseer Gewerbevereins, dass bei der aktuellen Planung der A21 an der Edisonstraße nur eine Abfahrt von der A21 hinein ins Gewerbegebiet geplant würde. Eine Einfahrt auf die A21 sei aber aus Kostengründen nicht geplant. Aus Sicht von Bund und Stadt, so seinerzeit der Leiter des Kieler Tiefbauamtes Peter Bender, sei die bestehende Anschlussstelle am Wellseedamm für 9000 Kfz/Tag aber ausreichend. In der Tat: aus Sicht des Autoverkehrs ist das eher ein Luxusproblem. Sinn könnte eine "vollwertige" Anschlussstelle Edisonstraße nur in dem Szenario machen, wenn über den Anschluss Wellseedamm deutlich mehr Autoverkehr laufen würde. Wie mit einer Park & Ride-Station.

Drittens: Direkte Anbindung Ostufer(-hafen)?

Dieser Tage rief Großbritannien den "Klimanotstand" aus. In Kiel wird derzeit ähnliches vorbereitet. Wenn man der Wissenschaft glauben kann (und es gibt keinen vernünftigen Grund, dies nicht zu tun), dann müssen auch drastische Maßnahmen in Betracht gezogen werden, um die Erderwärmung zu begrenzen. Vielleicht kann manches Gedankenspiel, dass heute zunächst abwegig erscheint, doch in Zukunft eine Rolle spielen ..

Es ließe sich über den Neubau eines relativ kurzen Stichgleises eine direkte Gleisverbindung von der Industrietrasse zur Hein-Schönberg-Strecke herstellen. Und somit auch zum Ostuferhafen, dessen LKW-Zubringerverkehr sowohl Ostring als auch Theodor-Heuss-Ring belastet. Vorstellen könnte man sich natürlich theoretisch, hier quasi wie die heutige Buslinie 9 ein zusätzliches ÖPNV-Angebot zur Verknüpfung von Ostufer und Kiel-Süd zu schaffen.

Aber wäre vielleicht auch denkbar, das Gewerbegebiet quasi zu einem Vorposten des Ostuferhafens zu machen? Das Gebiet bietet heute schon Infrastruktur wie einen Autohof oder ein Hotel. Mit etwas (oder viel?) Fantasie könnte man sich auch eine Verladestation am Gleis an der Edisonstraße vorstellen. Dort werden LKW Huckepack auf Züge verladen, die jeweils zu Ankunft und Abfahrt der Fähren im Einsatz sind. Statt "rollender Landstraße" sozusagen "rollender Ostring". Zugegebenermaßen klingt das (noch) ziemlich abwegig. Aber immerhin reden wir hier über vielleicht  250 jeweils eingesparte LKW-Kilometer durch das Stadtgebiet pro Zug. Möglicherweise wird die Situation sich einmal so weit verschärfen, dass JEDE Möglichkeit zur Einsparung von Emissionen in Betracht gezogen werden muss. Und eventuell wäre diese direkte Gleisanbindung auch hilfreich für haffenaffine Gewerbe?

Ausblick

Die Ratsversammlung hatte im November mit großer Mehrheit eine Richtungsentscheidung pro Stadtbahn/Tram getroffen. Das Thema Stadtbahn oder Tram wird die Öffentlichkeit auch über die bevorstehende OB-Wahl hinaus beschäftigen. Ein Gutachten zur Weiterentwicklung des bisherigen VEP (Verkehrsentwicklungsplan) ist in der Pipeline und wird wohl in den nächsten Monaten veröffentlicht. Wenn man die Regensburger Expertise in dieser Hinsicht auf Kiel überträgt, so ist damit zu rechnen, dass in Kiel drei Linien (Regensburg zwei) nötig sein werden, um den Betrieb einer Stadtbahn wirtschaftlich darstellbar zu machen. Wenn Elan in der Stadtpolitik auf gefüllte Fördertöpfe träfe, könnte eine erste Linie bereits 2025 fahren (Straßen-Südspange wäre, wenn überhaupt, 2030-2036 realistisch).

Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn dabei der wachsende Kieler Süden mit dem größten Gewerbegebiet und dem größten Neubaugebiet außen vor bliebe und bereits vorhandene Infrastruktur nicht genutzt würde.

Sollte es Bürgerinnen und Bürger im Kieler Süden geben, die hier aktiv werden wollen: Bielenbergkoppel.de würde hier jede Initiative unterstützen. Unabhängig von der Einstellung zur "Straßen-Südspange".

Fußnoten/Links

*1. PTV Gutachten, S.42 (pdf)
*2. ÖPNV-Gutachten Regensburg (pdf)